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Haarausfall bei jungen Menschen – Was lässt sich dagegen tun?

03. Juli 2022, 00:00 Uhr

Wir alle verlieren Haare, im Schnitt etwa 60 bis 100 am Tag. Doch bei manchen von uns sind es krankheitsbedingt deutlich mehr. Ein prominentes Beispiel zeigt nun, wie das Leiden auch junge Menschen betrifft.

Mit Statistiken ist es so eine Sache, aber wenn man erst einmal mit dem kühlen Blick der Zahlen auf die Sache schaut, dann sieht es so aus: Blonde Menschen haben im Durchschnitt 150.000 Haare auf dem Kopf, Schwarzhaarige etwa 100.000 und Rotschöpfe bringen es auf 90.000. Das Problem ist nun aber, dass ungefähr jede vierte Frau und ein Großteil der Männer im Laufe ihres Lebens unter Haarausfall leiden. Und gar nicht selten sind auch junge Menschen betroffen.

Um das einmal klarzustellen: Wir alle verlieren Haare, im Schnitt etwa 60 bis 100 am Tag, weil die Haare drei bis sechs Jahre wachsen. Und dann eben nicht mehr. Problematisch wird es, wenn wir über lange Zeit mehr verlieren als nachwachsen. Wie schwer das Leiden ist, hängt von Fall zu Fall ab.

„So viel gerätselt, so viele Tränen vergossen“

Wie dramatisch sich aber Haarausfall gerade für jüngere Menschen auswirken kann, zeigt ein prominentes Beispiel: Die als „Bachelorette“ bekannt gewordene Sharon Battiste leidet, wie sie kürzlich offenbart, schon seit 15 Jahren an kreisrundem Haarausfall. Die Krankheit habe sie sehr leiden lassen: „Was stimmt mit mir nicht? Warum habe ich das verdient? Was möchte mein Körper mir sagen?“ Battiste sagt, sie habe „so viel gerätselt, so viele Tränen vergossen, und die Zeit war schlimm“.

Beim kreisrunden Haarausfall, in der Fachsprache Alopecia areata, kommt es höchstwahrscheinlich zu einem Angriff des Immunsystems auf die Haarwurzel. Statt gefährliche Viren und Bakterien zu bekämpfen, richtet sich unser körpereigener Schutz gegen unsere Haare und löst an den Haarwurzeln eine Entzündung aus. Zu solchen Autoimmunerkrankungen gehört auch Rheuma.

„Obwohl es Studien gibt, die auf einen Zusammenhang zwischen Stress und Alopecia Areata hinwiesen, ist die Theorie, dass Alopecia Areata durch Stress ausgelöst wird spekulativ und wird sehr kontrovers diskutiert“, heißt es beim Alopecia Areata Deutschland e. V., der sich um die Betreuung von Patienten kümmert.

Etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung sind irgendwann in ihrem Leben von Alopecia areata betroffen. Forschende, etwa Humangenetiker der Uni Bonn, gehen davon aus, dass auch genetische Faktoren für die Erkrankung verantwortlich sind. Sie sprechen dabei von einer „komplexen Vererbung mit einer Vielzahl krankheitsbeitragender Gene“.

„Googeln sie nicht“

Manchmal bildet sich das Leiden spontan zurück. „Verfallen Sie nicht in Panik und googlen Sie nicht! Bei circa 50 Prozent wachsen die Haare auch ohne Behandlung innerhalb eines Jahres wieder nach“, rät die Dermatologin Sophie Müller-Wiefel aus München Betroffenen.

Funktioniert das nicht, besteht unter anderem die Möglichkeit der Behandlung mit Cortison, im Normalfall als Creme. Das soll die Entzündung bremsen. Andererseits drohen ernsthafte Nebenwirkungen – und beim Ende der Therapie ist es möglich, dass die neu gewachsenen Haare wieder ausfallen.

Auf dem Markt sind auch noch zahlreiche andere Therapien gegen Haarausfall. Eine Patentlösung stellt keiner davon dar. Zum Beispiel steht der Dermatologe Abdou Zarzour aus Halle Wirkstoffen wie Finasterid kritisch gegenüber. Er hat laut eigenen Aussagen bereits 10.000 Patientinnen und Patienten behandelt und sagt, dass Medikamente, Shampoos oder andere Kosmetika nicht einfach wahllos gegen Haarausfall eingesetzt werden sollten.

Finasterid wirkt, indem es die Effekte der männlichen Hormone auf die Haarfollikel blockiert. Es kann allerdings die Libido verringern, die Brust vergrößern und eine erektile Dysfunktion begünstigen.

Neues Medikament

Einen anderen Ansatz verfolgen sogenannte Januskinase-Hemmstoffe (JAK-Inhibitoren). Diese Art von Medikament wird bereits bei einigen schweren Rheuma-Krankheiten und bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks eingesetzt. Sie sollen der Signalkette ansetzen, sodass die Haarwurzeln nach örtlicher Behandlung wieder zu wachsen beginnen.

Ein neuer Wirkstoff aus der Klasse der JAK-Inhibitoren ist jetzt in der EU zugelassen worden. Dermatologen hätten jetzt die Möglichkeit für „eine zielgerichtete Behandlung der Alopecia areata“, so der Hautarzt Uwe Schwichtenberg aus Bremen. „Für unsere Patientinnen und Patienten bedeutet dies im Praxisalltag einen entscheidenden therapeutischen Fortschritt, der ihnen einen deutlichen Rückgewinn an Selbstvertrauen und Lebensqualität ermöglichen kann.“

Ein Allheilmittel wird aber auch das neue Medikament ganz bestimmt nicht. So stellen die Haare nach dem Absetzen der Tabletten das Wachstum wieder ein. Dazu kommen die der Zulassung erfassten Nebenwirkungen: „Das Immunsystem fährt nach unten, Viren können reaktiviert werden, Herpes und Gürtelrose können daher häufiger ausbrechen“, beschreibt die Medizinerin Müller-Wiefel. Bei hohem psychischem Leidensdruck müsse eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. „Die regelmäßige Kontrolle des Bluts ist unabdingbar.“

Aber noch einmal zu Sharon Battiste, die ihre Krankheit lange Zeit durch das Tragen von Perücken versteckt hat. Damit ist nun Schluss, sie zeigt ihre Glatze. „Mir ist nur wichtig, dass der Mann genau das spürt, wie ich mich fühle, und zwar schön, sexy und kraftvoll", sagt sie. Sie brauche „kein Mitleid oder Fokus auf diese Krankheit“ – denn: „diese Krankheit ist für mich beendet“.

Dieses Thema im ProgrammMDR JUMP am Wochenende | 03. Juli 2022 | 11:20 Uhr