Auf Deutschlands Autobahnen: Was bringt ein Tempolimit wirklich?

27. Mai 2022, 15:07 Uhr

Auf etwa 70 Prozent der Autobahnstrecken herrscht in Deutschland freie Fahrt – noch. Sollte sich das ändern, für den Klimaschutz etwa, oder um die Abhängigkeit von russischem Öl zu verringern? Die Debatte hat wieder Fahrt aufgenommen.

Die Deutschen und das Auto – in manchen Fällen ist das, wie in der Liebe eben üblich, eine Beziehung voller irrationaler Zuneigung. Für viele von uns ist es aber auch einfach eine Zweckgemeinschaft. Der TÜV-Verband hat bei einer repräsentativen Befragung von 1000 Menschen über 16 Jahren jetzt noch einmal bestätigt gefunden, dass der PKW hierzulande das Verkehrsmittel Nummer eins ist und bleibt. An einem durchschnittlichen Werktag nutzen demnach 72 Prozent der Befragten das Auto. Das sind immerhin sieben Prozentpunkte mehr als bei der letzten Befragung vor zwei Jahren.

Mit der Mobilitätswende, die aus Klimaschutzgründen nötig wäre, ist es also nicht allzu weit her. Das Fahrrad nutzen 32 Prozent der Befragten (plus drei Prozentpunkte), den öffentlichen Personennahverkehr 25 Prozent (minus sieben Prozentpunkte). Auffällig dabei: Wie stark man auf den ÖPNV setzt, hängt vom Wohnort ab - und damit vom Angebot. In Orten unter 20.000 Einwohnern liegt das Auto bei 83 Prozent, der öffentliche Nahverkehr nur bei zehn Prozent. In Metropolen mit mehr als einer halben Million Einwohnern – in unserer Region sind das nur Leipzig und Dresden - sinkt die Zahl beim Auto auf 66 Prozent, der ÖPNV klettert auf 39 Prozent.

Interessant dabei: Eine Mehrheit der Befragten, konkret sind es 56 Prozent, spricht sich für ein generelles Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde aus, nur 38 Prozent lehnen das ab. Damit wird ein Stimmungsbild aus früheren Befragungen bestätigt, das teils sogar noch klarer ausgefallen war: So hatte eine Umfrage im Auftrag einer Versicherung zuvor sogar eine Zustimmung von 71 Prozent für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen belegt. Bei Frauen lag Unterstützung dabei höher als bei Männern. Das hat wohl auch damit zu tun, dass rund 46 Prozent der Frauen sagen, sie fühlten sich von schnellem Fahren gestört. Bei den Männern stimmte dieser Aussage nur 33 Prozent zu.

Automobilclubs uneinig

Deutschland ist neben Haiti das einzige Land der Welt ohne ein generelles Tempolimit. Bei einer Umfrage des ADAC unter den Mitgliedern hatten zuletzt 50 Prozent Zustimmung zum Tempolimit signalisiert, 45 Prozent waren dagegen. Eine offizielle Empfehlung spricht der Club nicht aus – im Gegensatz zu anderen Automobilverbänden: Der Auto Club Europa (ACE) ist klar für eine Begrenzung, der Automobilclub von Deutschland (AVD) und der deutlich kleinere Automobilclub Mobil in Deutschland sind ebenso klar dagegen.

Doch die Politik tut sich nach wie vor schwer. Das liegt sicher auch daran, dass sich die Gegner einer Geschwindigkeitsbegrenzung oft laut zu Wort melden. Zu finden sind sie eher unter den Vielfahrern: 56 Prozent derjenigen Autofahrer, die mehr als 50.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto unterwegs sind, lehnen ein Tempolimit ab. Dagegen sprechen sich 57 Prozent der Befragten, die höchstens 5000 Kilometer pro Jahr mit dem Auto unterwegs sind, für eine Begrenzung auf 130 Kilometer pro Stunde aus.

In der Europäischen Union drängt zum Beispiel das kleine Luxemburg auf ein EU-weites Tempolimit. Und auch die Umweltminister der Bundesländer haben sich gerade für ein Autobahn-Tempolimit ausgesprochen. „Wir müssen Klimaschutz auch durch ein Tempolimit mit voranbringen", sagte der Vorsitzende der Konferenz, Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies. Zwar hätten Bayern und Nordrhein-Westfalen in einer Protokollnotiz vermerkt, dass sie die Wirkung eines Tempolimits für begrenzt hielten und dieses „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ nicht mittrügen. Der Beschluss sei aber einstimmig auch mit den Stimmen dieser beiden Bundesländer gefasst worden, hieß es. Eine konkrete Geschwindigkeit nennen die Minister der Länder in ihrem Beschluss nicht.

Nur ein Teil der Autofahrer ist überhaupt so schnell

Und ohnehin ist eine Umsetzung eher zweifelhaft. Die Ampel-Regierung im Bund hat das Tempolimit nicht in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen – vor allem weil die FDP strikt dagegen ist. De liberale Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte unter anderem argumentiert, für ein Verbot fehlten die Schilder. Später erklärte das Ministerium, die Formulierung sei vor allem ein Synonym für den Aufwand, der bei einem zeitlich begrenzten Tempolimit notwendig wäre.

Nun muss man sagen: Nur ein Teil der Autofahrer fährt überhaupt schneller als 130 auf der Autobahn. Und nur ein Teil der Strecken sind komplett freigegeben. Dazu kommen Staus und Baustellen, die den Verkehr zusätzlich bremsen: Auf etwa 70 Prozent der Autobahnstrecken herrscht in Deutschland freie Fahrt, hier sind 130 Kilometer pro Stunde nur eine Richtgeschwindigkeit. Ohne Limit liegt die tatsächliche Durchschnittsgeschwindigkeit hier real bei etwa 125 Kilometer pro Stunde, bei Tempo 120 wird im Schnitt 115 Kilometer pro Stunde gefahren.

Gleichzeitig macht jeder zusätzliche Stundenkilometer einen Unterschied beim Spritverbrauch, zumal der nicht linear ansteigt. Eine Studie des Umweltbundesamtes in Dessau hat die Auswirkungen eines Tempolimits auf die Umwelt kürzlich noch einmal neu berechnet. Demnach können bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Kilometern in der Stunde immerhin 1,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, bei Tempo 120 wären es demnach 2,0 Millionen Tonnen.

Nicht alle halten sich ans Limit

„Diese Werte gelten unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich nicht alle an das vorgegebene Tempolimit halten“, heißt es beim UBA. Dass die Zahlen in der aktuellen Rechnung niedriger als in früheren Versionen liegen, erklärt die Behörde damit, dass wegen Corona zwischenzeitlich weniger gefahren wurde und die Treibhausgasemissionen im Jahr 2020 niedriger lagen als in anderen Jahren. Mit diesen Werten wurde nun gerechnet, daher die geringen Einsparungen als bei den Berechnungen in früheren Jahren.

Das heißt, fürs Klima würde ein Tempolimit aber trotzdem noch Sinn machen – und auch, um die Abhängigkeit von russischem Öl zu verkleinern. „Ein Tempolimit könnte fünf bis sieben Prozent der russischen Ölimporte reduzieren“, schätzt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Umweltschützer von Greenpeace kommen mit einem ziemlich extremen Szenario auf folgende Werte: Bei einem Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen und 80 Kilometern pro Stunde auf Landstraßen ließen sich aus ihrer Sicht rund zweieinhalb Prozent der deutschen Mineralölimporte pro Jahr einsparen. 

Dieses Thema im Programm MDR JUMP am Wochenende | 28. Mai 2022 | 13:10 Uhr

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