Reagieren Frauen und Männer unterschiedlich auf Stress
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Geschlechtsunterschiede in der Medizin sind noch ein vergleichsweise neues Thema. Und das, obwohl biologischen Unterschiede Krankheitsverläufe prägen können. Wie ist das eigentlich beim Thema Stress?

Weltweit hat die Zahl psychischer Erkrankungen durch die Corona-Pandemie enorm zugenommen. Australische Forscher haben zusammengezählt, dass allein im vergangenen Jahr global gesehen rund 53 Millionen Fälle von schweren depressiven Störungen und 76 Millionen Fälle von Angststörungen zusätzlich aufgetreten sind. Das entspricht den Angaben zufolge einer Steigerung von 28 beziehungsweise 26 Prozent.
Wer bei uns in der Region versucht, bei einem Psychologen oder Psychotherapeuten unterzukommen, der weiß auch, wie schwierig das ist. „Wiederholte Maßnahmen wie mehrmalige Lockdowns bergen die Gefahr, dass die psychische Gesundheit zunehmend leidet und sich nicht mehr erholt. Außerdem nimmt die Einsamkeit in der Bevölkerung mit jeder Schließung zu. Dies könnte schwerwiegende stressbedingte und psychische Erkrankungen wie Depressionen zur Folge haben“, warnt auch Tania Singer, Leiterin der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin.
Ausschüttung des Stresshormons Cortisol bei Männern ausgeprägter
Auch Hans Kluge, der für Europa zuständige Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt, die Auswirkungen der Coronakrise hätten hinsichtlich geistiger Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen enormen Tribut gefordert. Zum Glück ist nicht jeder gleichermaßen hart getroffen – und doch, Stress haben wir eigentlich alle zusätzlich in diesen Tagen. Und das in der Weihnachtszeit, die ja traditionell eigentlich längst nicht so entspannt ist, wie sie sein sollte.
Interessant sind nun Erkenntnisse aus der Wissenschaft zum Thema Stress – es geht um die Frage, ob Frauen damit womöglich anders umgehen als Männer. Geschlechtsunterschiede in der Medizin sind in der Praxis noch ein vergleichsweise neues Thema. Und das, obwohl die biologischen Unterschiede nicht nur Krankheitsverläufe prägen, sondern auch die Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten.
Dass sich Frauen und Männer auch in ihren Stressreaktionen unterscheiden, weiß Birgit Derntl vom Universitätsklinikum Tübingen. Sie sagt: Zwar ist die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol bei Männern ausgeprägter als bei Frauen, letztere gehen mit dem Thema Stress aber offener um. Das heißt: Frauen geben eher zu, dass sie gestresst sind.
Frauen reagierten oft eher niedergeschlagen und ängstlich auf Stress. Männer dagegen seien eher wütend und energiegeladen statt traurig und verzweifelt.
Unterschiedliche Mechanismen, gleiches Ergebnis
Wobei natürlich auch „die Frauen“ keine homogene Gruppe seien: Wer wie gestresst ist und welchen Umgang mit dem Problem für sich gefunden hat, sei individuell verschieden - und hänge beispielsweise auch vom Menstruationszyklus ab, oder davon, ob die Frau die Pille nimmt oder schwanger ist.
In ihren Untersuchungen hat Derntl Frauen und Männer eine Reihe stressreicher Situationen durchleben lassen, zum Beispiel in Form schwieriger Matheaufgaben (Leistungsstress) oder Ausgrenzung (Sozialer Stress). Dabei wurden die Ausschüttung von Hormonen, die Vorgänge im Gehirn und das Verhalten der Testpersonen beobachtet und analysiert. Interessant dabei war, dass beide Geschlechter angaben, unter den Bedingungen im Schnitt gleichermaßen gestresst gewesen zu sein – doch fiel ihre körperliche Reaktion eben ganz unterschiedlich aus.
Rund 90 Prozent aller Deutschen fühlen sich gestresst
Bei den Männern stiegt der Pegel des Stresshormons Kortisol, bei den Frauen nicht. Bei ihnen zeigte sich in Experimenten dagegen eine höhere Oxytocinausschüttung als bei den Männern.
Komplexe Sache, also. Wichtig vielleicht zum Schluss: Nicht immer ist Stress für Männer oder Frauen negativ, so Forscherin Derntl. „Solange er nicht chronisch wird, kann er etwas sehr Positives und Motivierendes sein.“ Dann wird in belastenden Situationen den Organismus so mobilisiert, dass er diese bewältigen kann. Dann muss aber auch irgendwann wieder Ruhe sein.
Und genau das bereitet uns offenbar zunehmend Probleme, egal ob Mann oder Frau. Bei einer Befragung gaben knapp 90 Prozent aller Menschen in Deutschland an, in den vergangenen Monaten erheblich unter Stress gelitten zu haben. Und das sind ganz eindeutig zu viele. Also: Passt auf euch auf!
Dieses Thema im Programm MDR JUMP am Wochenende | 12. Dezember 2021 | 11:20 Uhr