Kann man mit Apps Sprachen lernen?

Anbieter von Sprachlern-Apps werben damit, den Erwerb einer Fremdsprache dank moderner Methoden leicht zu machen. Wird Sprachunterricht also überflüssig? Experten sind da eher kritisch, sehen aber auch Vorteile der Apps.

Welche App-Typen gibt es?

Inzwischen gibt es für fast alles eine App – und so natürlich auch zum Sprachen lernen. Das Repertoire reicht dabei vom klassischen Vokabeltrainer bis hin zum umfassenden Angebot, das sich in verschiedene Kursstufen inklusive Grammatik- und Aussprachetraining gliedert. Je nach Anbieter sind die Apps gratis oder gegen Geld zu haben. Oft gibt es eine Basisversion gratis. Wer keine Werbung sehen möchte, muss bezahlen. Bei den bekannten Sprachlern-Apps wie Babbel, Duolingo und Co. handelt es sich um vollvirtuelle Selbstlernkurse. Das heißt, dass es keinerlei Interaktion mit Lehrkräften und in der Regel auch kaum Austausch mit anderen Lernenden gibt.

Neu, modern, effektiv?

Nicola Würffel, Professorin am Herder-Institut der Universität Leipzig, befasst sich unter anderem mit der Digitalisierung des Sprachenlernens. Neue Methodik und moderne Lernmethoden kann sie in den Sprachlern-Apps nicht erkennen. Es gebe nur sehr wenige Übungstypen, am meisten kämen Übersetzungsübungen vor:

Die Apps zeichnen sich durch ein äußerst eingeschränktes Methodenrepertoire aus, das wahrscheinlich kein Lernender in einem Präsenzkurs akzeptieren würde.

Nicola Würffel, Professorin am Herder-Institut der Universität Leipzig

Der methodische Ansatz, die "Grammatik-Übersetzungsmethode", gelte in der Fremdsprachendidaktik als veraltet. Bei Babbel heißt es auf Anfrage dagegen:

Der Fokus aller Babbel-Kurse liegt darauf, die Lernenden durch nützliche, alltagsrelevante Inhalte so schnell wie möglich zum Sprechen zu bringen. Dass das funktioniert, zeigen Nutzer-Umfragen und empirische Studien mit Universitäten.

An der Michigan State University habe man etwa belegen können, dass Babbel über Grammatik- und Vokabellernen hinaus das tatsächliche Sprechen ermöglichen kann. Auftraggeber dieser Studien war allerdings der App-Anbieter selbst.

Lernen zwischendrin

Auf kleinen Zetteln steht Danke in verschiedenen Sprachen.
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Der Reiz an den Sprachlern-Apps liegt für Viele wohl vor allem darin, zeit- und ortsunabhängig lernen zu können, zum Beispiel die Zug- oder Busfahrt zu nutzen oder schnell eine Lektion auf dem heimischen Sofa durchzunehmen. Außerdem ermöglichen es Sprachlern-Apps "ganz im eigenen Tempo und Rhythmus zu lernen", erklärt Miriam Plieninger, Director of Didactics bei Babbel. Die ständige Verfügbarkeit und Nähe zu der zu erlernenden Sprache schätzt auch Nicola Würffel vom Leipziger Herder-Institut als positiv ein. Das Lernen "in Happen" sieht Würffel allerdings kritisch:

Die geringe Tiefe der damit angeregten Lernprozesse führt dazu, dass ein komplexes System wie eine Sprache nicht umfassend und nachhaltig gelernt werden kann. Durch Mikrolernen wird häufig nur Wissen angehäuft, das der Lernende aber nicht anwenden kann, weil ihm genau das durch das Lernprogramm nicht beigebracht wird.

Nicola Würffel

Würffel glaubt, dass das Konzept des Mikrolernens nicht etwa zum Einsatz käme, weil es besonders effektiv sei, sondern weil es sich technisch auf kleinen Bildschirmen und Geräten mit geringer Speicherkapazität besonders gut umsetzen ließe.

Für wen eignen sich die Apps?

Die Anbieter von Sprachlern-Apps werben damit, dass Jeder Sprachen per App lernen kann – ob mit Vorkenntnissen oder ohne, und unabhängig von Alter und Lerntyp. Didaktik-Expertin Nicola Würffel geht aber davon aus, dass nur eine bestimmte Personengruppe von dem Lernen mit Sprach-Apps tatsächlich profitiert. Für erfahrene Lernende mit einem hohen Grad an Selbstdisziplin seien Sprachlern-Apps am ehesten geeignet.

Sie verfügen über die Kompetenz eines selbständigen Umgangs mit dem Lernstoff, den eigenen Lernzielen, der Bestimmung des eigenen Lernstands, der Inanspruchnahme von Hilfen etc.

Nicola Würffel

Doch um sich vor dem nächsten Urlaub schnell noch Sprachwissen anzueignen, seien die klassischen Apps kaum geeignet: Die Lektionen und Lernziele lassen sich nicht nach den individuellen Bedürfnissen variieren.

Können Apps Sprachunterricht ersetzen?

Eintrag 'Sprachkurs' in einem Kalender
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Nein, da sind sich die Sprachwissenschaftler einig. Die Interaktion mit Lehrern und Mitschülern sei im Lernprozess wichtig. Feedback und Motivation durch reale Personen sowie die Simulation alltagsnaher Dialoge sei unverzichtbar. Allerdings: Sprachlern-Apps können in den Unterricht mit einbezogen werden. Nicola Würffel geht außerdem davon aus, dass durch den einfachen, oft kostenfreien Zugang zu den Sprachlern-Apps viele Leute überhaupt erst auf eine Sprache neugierig werden. Die Apps können also zumindest ein Einstieg sein. Und selbst bei Babbel wird ein Blick über den Tellerrand empfohlen:

Nichts festigt das Gelernte und motiviert so sehr wie echte Lernerfolge durch aktive Sprachanwendung. Das kann mit Tandem-Partnern, muttersprachlichen Freunden oder eben in einem klassischen Sprachkurs stattfinden. Verschiedene Lernkontexte können sich dabei gut ergänzen und bereichern.

Nicola Würffel

Fazit: Lieber in den Sprachkurs

Wer eine Sprache umfassend lernen möchte, wird in einem Sprachkurs mit echtem Austausch und motivierendem Feedback besser lernen als mit einer Sprachlern-App. Trotzdem können die Anwendungen einen ersten Einstieg und Zugang zu der Sprache ermöglichen. Sie können den Unterricht begleiten und zwischendrin Grammatik- und Vokabelkenntnisse festigen. Neben den vollvirtuellen Selbstlernkursen, die in ihrem Aufbau starr sind, kann es auch sinnvoll sein, nach kleineren, spezifischeren Apps (etwa thematisch ausgerichtet) Ausschau zu halten. Und auch Lernprogramme am Computer sind in ihrer methodischen Vielfalt und Didaktik oft umfangreicher als die auf Mobilität ausgerichteten Sprachlern-Apps.

Dieses Thema im Programm MDR JUMP bei der Arbeit | 05. Oktober 2021 | 11:45 Uhr

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