Aufsichtspflichten von Eltern: Was dürfen die Kleinen überhaupt alleine?

Kinder haben die Folgen ihres Tuns oft nicht im Blick. Eltern müssen darum ein wachsames Auge auf sie haben - auch per Gesetz. Wir erklären, warum Eltern trotzdem nicht für alle Schäden ihrer Kinder aufkommen müssen.

Eltern haben gegenüber ihren Kindern eine Aufsichtspflicht. Bis zu deren Volljährigkeit müssen sie absichern, dass weder dem Kind noch Dritten ein Schaden zugefügt wird. Das bedeutet jedoch nicht Kontrolle rund um die Uhr. Wer seiner Aufsichtspflicht im ausreichenden Umfang nachgekommen ist, kann auch nicht haftbar gemacht werden. Aber was gilt als ausreichend? Die Kriterien für eine Beurteilung sind dabei gar nicht so einfach.

Eltern müssen das Risiko abschätzen

Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil die Frage der Aufsichtspflicht am Alter und dem Charakter des betreffenden Kindes festgemacht. Eltern müssen demnach das Risiko eines Schadens abschätzen und danach beurteilen, welcher Umfang an Aufsicht angemessen ist. Im Prinzip ist es zulässig, dass Eltern sich nur "in groben Zügen" ein Bild vom Treiben ihrer Kinder machen - es sei denn, eine besondere Aufsicht ist nötig. Gerade auf jüngere und vergleichsweise unreife Kinder sollte häufiger ein Auge geworfen werden.

Wann keine Haftung besteht

Die Bundesrichter kamen zu der Auffassung, dass ein Siebenjähriger ohne bestehende Verhaltensauffälligkeiten bis zu zwei Stunden allein beim Spielen gelassen werden kann, ein Fünfjähriger bis zu 30 Minuten. Aber auch Kleinkinder können Eltern nicht in jeder Situation an der Hand führen. Wenden sich Mutter oder Vater kurz ab und schlägt das Kind genau in diesem Moment einem anderen eine Wunde, haften die Eltern nicht.

Eine Aufsicht zu jeder Tageszeit ist nicht nötig. So dürfen Eltern laut einem Urteil des Landgerichts Potsdam von 2002 noch schlafen, auch wenn ein Kind sonntags ab sechs Uhr beginnt zu spielen. Im betreffenden Fall hatten Kinder am frühen Morgen Spielsachen zum Fenster hinausgeworfen und so ein abgestelltes Fahrzeug beschädigt. Der Aufsichtspflicht wird auch durch Aufklärung genüge getan. Ein Urteil vom Bundesgerichtshof von 2012 besagt: Auch wenn der Nachwuchs trotz vorheriger Belehrung der Eltern im Internet illegale Musiktauschbörsen benutzt, müssen Eltern für einen Schaden nicht zahlen.

Hinweistafeln an Baustellen

Schild mit "Betreten der Baustelle verboten, Eltern haften für ihre Kinder"
Bildrechte: IMAGO / MiS

An Baustellenzäunen heißt es oft: "Eltern haften für ihre Kinder". Sicherlich müssen Eltern achtgeben, dass ihr Kind nicht auf eine Baustelle läuft. Haben sie allerdings ihr Möglichstes dafür getan und es passiert dennoch, müssen Eltern nicht für Schäden haften. Ein Unternehmer könnte dann sogar für die nicht ordnungsgemäß gesicherte Baustelle Mitschuld tragen.

Abgeben der Aufsichtspflicht

Mit vertraglicher Festlegung kann die Aufsichtspflicht für einen vereinbarten Zeitraum an eine Kindertagesstätte oder die Schule übergehen. Eventuelle Schäden liegen dann in der Verantwortung dieser Einrichtung. Das Kind zeitweise der Fürsorge eines Nachbarn zu überlassen, befreit Eltern aber nicht von Haftungsansprüchen. Eltern müssen dann unter Umständen für einen Schaden aufkommen. Im Einzelfall kommt es aber auch darauf an, ob es sich bei der Betreuungsperson um eine zuverlässige Person handelt.

Absehbarkeit

Die Haftung hängt oft davon ab, ob ein eingetretener Schaden absehbar war. Das Münchner Amtsgericht wies 2009 die Klage eines Taxiunternehmers ab, in dessen Taxi sich ein neunjähriges Mädchen übergeben hatte. Weil die Tochter vorher keine Anzeichen für ein Kranksein gezeigt hatte und die Eltern ein Erbrechen nicht hätten erwarten können, lag keine Haftung vor. Heißt: Es geht immer um die Frage, wie viel Vorkehrungen für Eltern zumutbar sind. Nicht alle Risiken des Lebens können abgesichert werden.

Deliktfähigkeit und Haftung

Ein Kind im Straßenverkehr
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Vor Vollendung des siebten Lebensjahres sind Kinder nicht deliktfähig. Sie können auch bei fehlender Einsichtsfähigkeit nicht zur Verantwortung gezogen werden. Hält sich das Kind trotz Einsichtsfähigkeit nicht an ein Verbot, haftet es womöglich selbst. Im Straßenverkehr haften Kinder erst nach vollendetem zehnten Lebensjahr. Ausnahmen können Überforderungssituation sein. Bedeutet: Ist der Weg überschaubar sowie bekannt und hat das Kind die erforderlichen Kenntnisse erhalten, darf es am Straßenverkehr teilnehmen. Zusätzlich zur Aufsichtspflicht haben Eltern auch einen Erziehungsauftrag und sollen ihr Kind zu einer erwachsenen Person erziehen.

Privathaftpflicht

In den meisten Fällen springt die private Haftpflichtversicherung der Eltern für Schäden durch Kinder ein. Wurde die Aufsichtspflicht jedoch nicht verletzt, muss auch diese nicht zahlen. Idealerweise achten Eltern beim Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung auf einen Versicherungsschutz für deliktunfähige Personen. Im ungünstigsten Fall kann ein Kind auch noch viele Jahre später für einen verursachten Schaden zahlen müssen, wenn ein Gericht seine Schuld festgestellt hat. Dreißig Jahre kann mit der Vollstreckung eines Gerichtstitels gewartet werden. Spätestens ab dem ersten Einkommen kann es teuer werden.

Wenn die Vollstreckung eines Titels den Betroffenen allerdings finanziell völlig überfordert, besteht die Möglichkeit, die Einrede der Haftbeschränkung bei Volljährigkeit geltend zu machen. Wird dieser stattgegeben, kann ein Anspruch mit Eintritt der Volljährigkeit erlöschen.

Dieses Thema im Programm MDR JUMP bei der Arbeit | 08. Juni 2021 | 11:45 Uhr

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