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Ursache für plötzlichen Kindstod entdeckt

21. Mai 2022, 00:00 Uhr

Jedes Jahr sterben noch immer etwa 100 Babys in Deutschland völlig unerwartet und unerklärlich. Neue Forschungsergebnisse lassen nun die Hoffnung zu, dass die Ursache des plötzlichen Kindstods gefunden ist. Leider ist die Sache trotzdem noch ziemlich kompliziert.

Es ist ein Albtraum für alle Eltern und die größtmögliche Katastrophe. In Deutschland gibt es jedes Jahr rund 100 Fälle von plötzlichem Kindstod. Rund 100 Mal müssen Eltern also mit der unfassbaren Nachricht klarkommen, dass ihr Kind völlig unerwartet und unerklärlich verstorben ist. Fast immer tritt das Sudden Infant Death Syndrome (SIDS), so der Fachbegriff, im Schlaf auf, bei einem eigentlich völlig gesund erscheinenden Baby, das bestenfalls leicht verschnupft ist. Besonders kritisch ist der zweite bis vierte Lebensmonat des Säuglings – wobei man aber klar sagen muss, dass das Risiko insgesamt gesehen extrem gering ist, laut amtlicher Statistik gibt es etwa 2 Fälle bei jeweils 10.000 Lebendgeburten. Doch wenn es eben trotzdem passiert, bricht eine Welt zusammen.

Über die Jahre sind die Fallzahlen stark gesunken, vom einem Rekordwert Anfang der Neunziger, als es noch fast 1300 Fälle pro Jahr gab auf jetzt, wie gesagt, rund 100. Das hat vor allem damit zu tun, dass inzwischen einige Risikofaktoren bekannt sind, über die Eltern auch so gut wie möglich aufgeklärt werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass das Baby auf dem Rücken schlafen sollte und es im Zimmer nicht zu warm ist. Auch sollte im Haushalt nicht geraucht werden.

Forscherin persönlich betroffen

Dennoch gab es bisher keine genauen Erkenntnisse zur Ursache. Dass sich das nun geändert hat, liegt an der australischen Forscherin Carmel Therese Harrington. Sie hat einen besonderen und traurigen Bezug zum Thema. Ihr Sohn Damien starb 1992 vollkommen überraschend als Baby. Die Ärzte sprachen von einer Tragödie. „Aber es war eine Tragödie, die sich nicht mit meinem wissenschaftlichen Verstand vereinbaren ließ“, so Harrington. Drei Jahre später wiederum verstarb Amelia, das Kind einer guten Freundin.

Damals arbeitete Harington als Anwältin, obwohl sie auch eine Ausbildung als Biochemikerin hatte. Doch nach den tragischen Todesfällen entschloss sie sich, ihr Leben einem neuen Ziel zu widmen: die Ursache von SIDS zu finden.

Nun scheint sie mit Hilfe von Blutanalysen von 600 Babys tatsächlich einen Schritt weiter gekommen zu sein. Harrington hat dazu einen Artikel im Fachmagazin „eBioMedicine“ veröffentlicht. Demnach gibt es offenbar einen charakteristischen Hinweis im Blut der betroffenen Kinder. Dort ist die Aktivität des Enzyms Butyrylcholinesterase (BChE) oder Pseudocholinesterase bei den durch SIDS gestorbenen Babys im Schnitt deutlich geringer als bei den anderen Säuglingen.

Warnung bleibt aus

Das Enzym ist wichtig dafür, dass die Kommunikation im Gehirn gut funktioniert. Liegt zu wenig davon vor, könnte es Probleme bei der Regulierung der Atmungsfunktion während der Zeit des Schlafes geben. Das heißt, das Baby würde nicht aufwachen, wenn es in Luftnot gerät – weil die entsprechende Warnung des Körpers ausbleibt.

„Babys haben einen sehr starken Mechanismus, um uns mitzuteilen, wenn sie nicht glücklich sind. Wenn ein Baby mit einer lebensbedrohlichen Situation konfrontiert wird, zum Beispiel mit Atemnot während des Schlafs, weil es auf dem Bauch liegt, wird es normalerweise wach und schreit“, so Harrington.

Diese Forschungsergebnisse zeigen, dass manche Babys nicht dieselbe robuste Erregungsreaktion zeigen.

Was folgt aus den neuen Erkenntnissen?

Wie die Erkenntnisse genau für eine mögliche Therapie genutzt werden können, muss sich nun noch zeigen. Theoretisch denkbar wäre es zum Beispiel, Babys generell zu testen, um Risikokinder zu identifizieren. „Diese Entdeckung verändert die Sichtweise auf SIDS und ist der Beginn einer sehr spannenden Reise. Wir werden in der Lage sein, mit Babys zu arbeiten, während sie noch leben, und dafür zu sorgen, dass sie weiterleben", so Harrington. Tatsache ist aber auch: Es ist immer noch ein weiter Weg, das macht auch ein Brief dreier Mediziner im prestigeträchtigen „New England Journal of Medicine“ als Reaktion auf die Studie klar. Man sei vielleicht einen Schritt vorwärtsgekommen, das Problem sei aber längst noch nicht gelöst.

„Wir brauchen noch viel mehr Forschung, bevor wir die tatsächliche Bedeutung verstehen können", sagt auch Richard Goldstein vom Boston Children’s Hospital. Tatsächlich ist selbst die Entwicklung des angedachten Tests für alle Babys gar nicht so einfach – weil sich die Durchschnittswerte der Enzymaktivität zwar zwischen betroffenen und nicht betroffenen Kindern klar unterschieden haben. Die individuellen Messwerte aus beiden Gruppen überlappten aber. Das heißt: mit einem Messwert allein ließe sich aktuell nicht sagen, zu welcher Gruppe das getestete Kind gehört. „Wenn Sie jedes Baby, das geboren wird, testen, sollten die Ergebnisse nur bei Babys mit einem sehr hohen Risiko als abnormal auffallen“, so Thomas Keens vom Children’s Hospital Los Angeles.

Forscherin Harrington hofft trotzdem, dass ihre Erkenntnisse nicht zuletzt betroffenen Eltern helfen: „Diese Familien können jetzt mit der Gewissheit leben, dass es nicht ihre Schuld war.“  

Dieses Thema im Programm MDR JUMP am Wochenende | 22. Mai 2022 | 14:30 Uhr

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