Handy-Sucht – Welche Auswege gibt es?
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Alkohol, Koffein, Nikotin – danach kann man süchtig sein, klar. Aber süchtig nach dem Handy? Doch, auch so etwas gibt es. Immerhin, es gibt Strategien, die helfen können.

Juliane Ensminger leitet die Sucht- und Drogenberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im sachsen-anhaltischen Gardelegen. Und in ihrem Job muss sie sich auch mit Handysucht befassen. „Das ist nicht wie bei Drogen, wo alle sagen, lass es, hör auf damit. Hier heißt es, nutze es, aber gönne dir Pausen“, sagt sie - denn ganz ohne Internet kommen die wenigsten klar, man braucht es für Arbeit, Schule und teils eben auch für das Sozialleben.
Es ist eine Kommunikationsmöglichkeit in dieser Zeit, was ja auch gut ist, weil sich zum Beispiel die Kinder darüber austauschen können.
Kinder und Erwachsene müssten aber den gesunden Umgang lernen. „Mangels Alternativen im Lockdown ist das Smartphone nun mal ein Weg, Kontakte virtuell aufrechtzuerhalten. Deshalb würde ich nicht in Alarmismus verfallen und sagen: Das wird die Jugend dauerhaft schädigen“, sagt auch der Kinder- und Jugendpsychiater Paul Plener vom Universitätsklinikum Ulm.
Nicht die Bildschirmzeit allein ist entscheidend
Mehr als jeder Dritte hängt seit Beginn der Pandemie häufiger am Smartphone als vorher. Das hat die Krankenkasse pronova BKK in ihrer Studie „Die Süchte der Deutschen“ herausgefunden. Vor allem die unter 30-Jährigen legten ihr Handy kaum noch aus der Hand, 72 Prozent nutzten es mehr als vor der Krise.
Eine britische Studie hat gezeigt, dass interessanterweise die Zeit am Bildschirm nicht unbedingt entscheidend ist für das Problem der Handysucht. Charakteristisch sei vielmehr das Gefühl, dass der Gebrauch des Telefons außer Kontrolle geraten sei - oder dass man Angst hat, dass das Gerät nicht zugänglich sein könnte.
Manche Mediziner sprechen in diesem Zusammenhang von der sogenannten Nomophobie. So bezeichnen sie eine Angststörung, ohne Mobiltelefon nicht erreichbar zu sein. „Neben der Angst, etwas zu verpassen, spielt sicherlich auch der selbst auferlegte Erwartungsdruck eine große Rolle“, sagt Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Röher Parkklinik in Eschweiler. „Das heißt: Ich denke, dass das Gegenüber eine sofortige Antwort erwartet, und entspreche ich nicht den Erwartungen, enttäusche ich.“
Was also tun?
Ein kompletter Entzug ist weder sinnvoll noch realistisch. Fortschritte können aber ein paar simple Punkte bringen. Zum Beispiel, möglichst viele Benachrichtigungen der Apps auszustellen – und zwar nicht nur die Töne, sondern auch das Vibrieren und die Pop-Ups. Auch das Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“ kann für mache funktionieren. Das heißt: Das Smartphone kommt etwa während eines Filmabends in einen anderen Raum – oder beim Spaziergang zum Beispiel in den Rucksack.
Auch gezielt als medienfreie eingestufte Zeiten gelten als sinnvoll, zum Beispiel beim gemeinsamen Essen. Der Haken: So etwas macht eigentlich nur Sinn, wenn alle Familienmitglieder auch mitmachen. Ja, liebe Eltern – Stichwort Vorbild und so. In solchen, klar abgegrenzten Perioden kann man aber lernen, dass es auch ohne Handy geht. Das ist sicher ganz hilfreich. Vielleicht kann man sich auch an einer anderen Stelle des Tages eine Digital-Auszeit nehmen, und sei es nur eine Viertelstunde.
Immer mehr nehmen das Handy sogar mit aufs Klo
Parallel zu smartphone-freien Zeiten kann man auch über smartphone-freie Orte nachdenken. Das Schlafzimmer wäre zum Beispiel eine gute Idee. Oder das Bad. Denn, und jetzt wird’s doch ein bisschen eklig, laut pronova BKK nehmen 31 Prozent aller Deutschen und sogar 74 Prozent der unter 30-Jährigen ihr Smartphone häufig mit aufs Klo. Vor vier Jahren haben das nach Angaben der Krankenkasse erst 25 Prozent getan. Und was man sich angewöhnen kann, das kann man sich – deutlich schwieriger, klar – auch wieder abgewöhnen.
Am Ende muss jede und jeder Interessierte seine eigene Strategie finden, um die Handynutzung ein bisschen besser in den Griff zu bekommen. Manchem hilft vielleicht auch der Blick auf die nackten Zahlen: Viele Handys bieten mittlerweile gute und detaillierte Nutzungsstatistiken an. Wer sich die mal ansieht, der merkt vielleicht, wieviel Zeit man im Grunde mit dem Ding verschenkt. Bei manchen helfen auch scheinbar abstruse Tricks, zum Beispiel das Umstellen des Bildschirms auf den Schwarz-weiß-Modus. So soll die Handynutzung unattraktiver werden.
Sucht- und Drogenberaterin Ensminger aus Gardelegen sagt aber auch: Nicht immer sei zum Beispiel ein Kind tatsächlich gleich suchtgefährdet, auch wenn es vielleicht so aussieht. In der Beratung werde dazu eine Bestandsaufnahme gemacht. Womöglich haben Kids und Eltern auch nur unterschiedliche Vorstellungen von einem ungesunden Konsum. „Das Fernsehen war für unsere Großeltern auch eine neue Sache und problematisch“, sagt Ensminger. „Für die Kinder ist das Internet normal, sie kennen es von Anfang an, bei uns kam es dazu.“